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Wie Christoph Blocher zu Macht und Reichtum kam
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Geschichte eines Aufsteigers ohne Beispiel

Artikel aus der Weltwoche vom 1. Oktober 1987 | Silvio Bertolami
Von der politischen Bühne her ist er bekannt als untersetzt-bulliger, hemdsärmliger Kämpfer, als ein Volkstribun, der sich nicht scheut, sich bei den einen unbeliebt zu machen, weil er weiss, dass er gerade so bei manchen anderen ankommt. Doch neben dem Politiker gibt es noch den Unternehmer Christoph Blocher, und nur wenige wissen, auf welch ungewöhnliche, ja seltsame Weise der mittellose Pfarrerssohn zum reichen Konzerninhaber wurde.

Nichts ist überzeugender als der Erfolg. Und nichts ist so erfolgreich wie Macht und Stärke. Doch «der Stärkere», so gab Jacob Burckhardt einmal zu bedenken, «ist als solcher noch lange nicht der Bessere». Erfolgreich ist Christoph Blocher: Auf der einen Seite Politiker, Präsident der Zürcher SVP, noch Nationalrat und vielleicht bald Ständerat, einer, der - wenn er eine Niederlage im Parlament nicht hinnehmen will - Abstimmungskämpfe anreissen und auch gewinnen kann.

Auf der anderen Seite Unternehmer, Herrscher über die Ems-Chemie, dies mit soviel Fortüne, dass ihm in der Wirtschaft viele Türen offenstehen; bei der Schweizerischen Bankgesellschaft sitzt er schon seit Jahren im Verwaltungsrat, bei der Motor-Columbus ebenfalls, unlängst hat ihn Von Roll in ihr Aufsichtsgremium geholt, und die Rettung des serbelnden Bündner Tagblattes hat er sich auch noch vorgenommen. Es vergeht fast kein Monat, ohne dass krisengeschüttelte oder andere Firmen bei ihm anklopfen und um seine Hilfe bitten.

Mächtig und stark ist Christoph Blocher: Auf seinem Weg nach oben hat er sich viele Feinde gemacht - die allerwenigsten wagen es noch, ihre Stimme gegen ihn zu erheben.

Doch ist Blocher auch der Bessere? Wo immer er auftritt, lässt er keinen Zweifel darüber offen, dass er die Wahrheit, das Recht und die Moral auf seiner Seite hat. Die Bösen, das sind die anderen. Soviel Überheblichkeit verlangt nach einer höheren Legitimation. Christoph Blocher glaubt sie zu haben. «Personen sind nebensächlich», sagte er einmal in einem Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger-Magazin», «wir sind nichts anderes als Schachfiguren des lieben Gottes. Niemand ist in Wirklichkeit Herr seines Lebens, niemand wählt eine Rolle, jeder wird an einen Platz gestellt und hat sich dort zu bewähren.» Dass den einen Menschen die sonnigeren, den anderen aber die schattigeren Plätze zufallen, ist Blocher zufolge unabänderlich. «Nichts Ungerechteres als der liebe Gott! Er hat eigene Gesichtspunkte, wen er erwählt!» Ansichten, die Christoph Blochers Bruder Andreas postwendend als ein «zutiefst heidnisches Mysterienspiel», als «anmassendes Wortgeklingel» und «theokratisches, pfäffisches Machtgehabe» abtat.

Indes, in Christoph Blochers Leben trugen sich unbestreitbar Dinge zu, die man in der Alltagssprache als Geschenke des Himmels zu bezeichnen pflegt. Denn «erwählt», zumindest aber ins Herz geschlossen wurde Blocher in der Tat, wenn auch nicht vom Allmächtigen, so doch von einem Industriellen, von Werner Oswald, dem Mitbegründer und späteren Hauptbesitzer des weitgefächerten Emser Konzerns.

Dieses Glück war um so wichtiger, als Blocher zum einen aus einer ärmlichen, vielköpfigen Pfarrersfamilie stammte, zum andern ursprünglich Bauer werden wollte, deshalb nach der Schulentlassung eine landwirtschaftliche Lehre absolvierte und erst später den zweiten, finanziell meist beschwerlicheren Bildungsweg einschlug. Angesichts dessen konnte es Blocher tatsächlich wie ein Geschenk des Himmels erscheinen, dass er während der Vorbereitung auf die Matur durch einen Zufall Werner Oswalds Bekanntschaft machen konnte, dass dieser ihm Kost und Logis anerbot, ihn wie einen eigenen Sohn in sein Haus aufnahm.
Christoph Blocher schlief auf dem gleichen Stock wie zumindest ein Teil seiner «Geschwister», er ass mit ihnen am selben Tisch, und er verdankte die Gastfreundschaft, indem er zum Beispiel Werner Oswalds Sohn Christoph Nachhilfestunden in französisch erteilte.
Maturand Blocher hatte nun die Gelegenheit, die Familienmitglieder kennenzulernen, ihre Stärken und Schwächen, ihre Sympathien und Antipathien ihm selber gegenüber - die Mutter und die Kinder, denen er später den Emser Konzern abkaufte, zum Teil, ohne dass sie es Wussten. Doch davon weiter unten.
Ebenfalls wie eine göttliche Fügung mochte es Christoph Blocher vorkommen, dass sich Werner Oswalds Zuneigung im Laufe der Jahre nicht verflüchtigte, sondern sich eher noch intensivierte. Gegen Ende des Studiums, so beschreibt es Blocher, habe ihm Oswald eine Halbtagsstelle im Rechtsdienst seiner Emser Werke angeboten. Leute aus Oswalds damaliger Entourage berichten ihrerseits, dass sich der Studiosus Blocher schon vorher höchst ungewöhnlicher Gunstbezeugungen erfreute.

Bereits in der Zeit, bevor er für das Unternehmen arbeitete, also noch gar kein Büro bezogen hatte, habe Blocher aus Oswalds Privatschatulle allmonatlich eine Art «Zahltag» in der Höhe eines normalen Angestelltenlohnes bezogen. Zusätzlich zu den regelmässigen Geldbezügen sei er ihn jeweils um weitere Zahlungen angegangen.
Zahlungen, die er übrigens nicht einfach verstohlen eingesteckt, deren er sich vielmehr noch gebrüstet habe.

Teile und herrsche

Divide et impera
Doch nicht nur der schnöde Mammon erzeugte Verwunderung und Neid. Auf Befremden stiess ebenso, dass Blocher, kaum hatte er in den Emser Werken begonnen, schon die Prokura zugesprochen erhielt und, kaum war er Prokurist, schon zum Vizedirektor befördert wurde.
Dass Christoph Blocher Vorschusslorbeeren einheimste, dass er auch in den folgenden Jahren ein Günstling Werner Oswalds blieb, erklärt sich ein Stück weit durch die Wesensverwandtschaft der beiden. Auch Oswald hatte die ersten beruflichen Schritte Richtung Landwirtschaft getan, sich nämlich, an,der ETH Zürich zum, Agraringenieur ausgebildet. Oswald wurzelte, wie Blocher, im Konservativismus. Und er war ein Patriarch, ein ungemein harter sogar, dem Blochers Forschheit und Durchschlagskraft gefallen mussten.
Ausserdem gründete Werner Oswalds Sympathie für Blocher zweifelsohne auch auf Irrationalem. Im Verlauf der Zeit liess der Industrielle am Firmament seines Reiches manche Kronprinzen aufsteigen, Leute, die ihn umgarnten, an denen er umgekehrt einen Narren gefressen hatte, Doch so unerwartet er sie erkor, so plötzlich konnte er sie auch wieder fallenlassen; dann wollte er sie jeweils nicht mehr sehen, verhängte über sie mitunter von einem Tag auf den anderen ein Betriebsverbot. Diesem Schicksal, spekulieren Kenner der damaligen Verhältnisse, entging Blocher womöglich nur deshalb, weil die Kräfte den bereits betagten Mann zusehends verliessen.

Blocher selber, rückblickend, brachte seinen Aufstieg einmal auf die Formel: «Dann habe ich meine Aufgaben erfüllt und stets die nächsten in Angriff genommen. Ich wurde gebraucht und bin Stufe um Stufe in neue Verantwortungen hineingestellt worden. Im Lauf der siebziger Jahre wurde mir die Leitung des gesamten Unternehmens übertragen, »Nach Gottes Willen, könnte man anfügen, ist doch Blocher, wie oben bereits angetönt, der Überzeugung: «Wenn irgendwo ein Mensch gebraucht wird, dann stellt Gott eben einen an den leeren Platz.»
Nur: Der «Platz» war nicht einfach leer, jedenfalls musste er von ihm zuerst erobert werden.

Blocher, so schildern seine Kritiker, brach in den Konzern ein wie der Eber in den Kartoffelacker. Seine Kritiker, das sind seine Opfer, Menschen in den Emser Chefetagen, die sich ihm nicht bedingungslos unterworfen haben und deshalb - ihren eigenen Worten gemäss - «die Spikes an seinen Ellenbogen» zu spüren bekamen, «mit 1000 Nadelstichen abgedrängt», «geschlachtet» wurden.

Blocher, darüber herrscht praktisch Einigkeit, war kein Intrigant im Hinterhalt, er trat ziemlich offen auf. «Er sagte mir, er wolle nach dem Motto "divide et impera", "teile und herrsche", vorgehen und gab mir bekannt, welche Personen er als nächste abzuschiessen gedenke», erzählt ein ehemaliger Angestellter der Emser Gruppe.

Zwar ist auch Blochers Kritikern klar dass Unternehmen Schauplätze von Rivalitäten, dass steile Karrieren das Resultat gewonnener Positionskämpfe sind. Doch Blochers Dominanzbedürfnis, die Rücksichtslosigkeit, mit der er vorgegangen sei, überschritt das erträgliche Mass deutlich, erzeugte Angst und Bitternis.

In ihren Ohren muss zynisch klingen, was Christoph Blocher in einem Vortrag zum Thema Karriere anmerkte: Der Verantwortliche «hat gerade mit seiner Macht, die er bekommen hat, ausschliesslich zu dienen. Er ist, je höher er steht, um so entscheidender unten... Nicht nur Karriere machen ist schwer. Den in der Karriere erreichten (hohen Posten) zu bekleiden, ist es vor allem, denn er erniedrigt und lässt keinen Raum mehr, zu tun oder zu lassen, was man will.»

Was passiert, wenn man Christoph Blocher nicht zu Diensten ist, erfuhr Paul Seifert, Direktor der Inventa, einer wichtigen Tochterfirma des Emser Konzerns. Seifert war Mitte der siebziger Jahre zu Blochers grösstem, hartnäckigstem Rivalen geworden. Gegen ihn sollte Blocher später auch das gröbste Geschütz auffahren. Vordergründig ging es bei der Auseinandersetzung zwischen den beiden um die zukünftige Geschäftspolitik der Inventa. Anders betrachtet handelte es sich um einen unerbittlichen Machtkampf, aus dem Blocher schliesslich als Sieger hervorging. In der Folge gründete Paul Seifert, zusammen mit, Rudolf Schürch, die Cora Engineering; sie schieden im Januar 1977 aus dem Emser Konzern aus.

Die meisten Konzernherren hätten sich wohl mit einem solchen Sieg zufrieden gegeben, nicht aber Christoph Blocher. Am 8. März 1977, also nach Seiferts, und Schürchs Austritt beziehungsweise Rauswurf aus der Inventa, begann die Bundesanwaltschaft gegen die beiden sowie den mit ihnen geschäftlich liierten Peter von Rechenberg zu ermitteln. Dieser wurde in seinem Engadiner Wohnort frühmorgens aus dem Bett geholt und nach Chur gebracht, Einvernahmen und Hausdurchsuchungen wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes, sprich: Wirtschaftsspionage, folgten. Die aufsehenerregende Affäre ausgelöst hatte eine Anzeige der Emser Gruppe. Christoph Blocher, damals ihr Verwaltungsratsdelegierter, behauptete, «dass hinter der Cora grosse ausländische Unternehmungen, und zwar mit Sicherheit eine italienische Firma, ein grosses staatliches Unternehmen des Ostblocks und ein westeuropäischer Chemiekonzern ständen. Die Zielsetzung der Cora sei es gewesen, via Kader der Inventa in den Besitz des technischen Know-hows und aller Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse der Emser Gruppe zu gelangen sowie die Inventa nach erfolgter personeller Aushöhlung aktionsunfähig zu machen» («Bündner Zeitung» vom 9. März 1977).
Ende Juli 1977 musste Blocher die erste Blamage einstecken: Die Bündner Staatsanwaltschaft sprach das Verdikt, dass die Anschuldigungen der Emser gegen die Cora nicht zutrafen. Am 8. Februar 1978 folgte eine weitere kalte Dusche: Auch die Beschwerdekammer des Kantonsgerichts liess Ems abblitzen. Ein paar Monate später hob zwar das Bundesgericht aus formellen Gründen den Entscheid der Bündner Beschwerdekammer auf - die Cora hatte stellenweise zuwenig Akten freigegeben; doch danach verliefen die Vorwürfe der Emser Werke definitiv im Sand: Es kam nie zu einer Anklage und schon gar nicht zu einer Verurteilung. In einem aussergerichtlichen Vergleich gab Blocher bzw. die Emser Werke AG die Anschuldigungen auf, dafür zogen die Cora-Leute eine Ehrverletzungsklage gegen den Verwaltungsratsdelegierten zurück.
Immerhin hatte Christoph Blocher bei der Emser Gruppe eines nun erreicht: die absolute Vorherrschaft, die durch Werner Oswalds Tod im Jahre 1979 endgültig besiegelt wurde. So konnte Blocher später einmal festhalten, dass in der Geschäftsleitung «die Beschlüsse in der Regel einstimmig» fallen.
Ein Letztes fehlte ihm zu Beginn der achtziger Jahre noch - ein mehrheitsfähiges Aktienpaket des Konzerns. Zwar sagt Christoph Blocher heute, er habe einen Kauf der Emser Gruppe nie angestrebt. Tatsächlich wartete er lange, bis er seine Hand nach dem Konzern ausstreckte, musste er auch recht lange warten. Viele Akteure und Beobachter der Emser Szene geben jedoch ihrer Überzeugung Ausdruck, dass es der bauernschlaue Blocher schon früh auf die Übernahme des Konzerns abgesehen hatte. Und zu beteuern, man wolle etwas nicht, wenn man es in Wahrheit ganz gern hätte, ist die beste Taktik, um es schliesslich zu einem günstigen Preis zu ergattern.

Die Gelegenheit reifte 1982/83 heran. Werfen wir jedoch zunächst einen Blick zurück. Die Emser Gruppe war Mitte der siebziger Jahre in die Klemme geraten, weil sich die Kunstfaserproduktion zunehmend in die Billiglohnländer verlagert und die Renaissance der Naturfaser die Marktsättigung in Europa beschleunigt hatte. Es galt nun, Ems in Richtung neuer, ertragsstarker Marktsegmente zu bugsieren, und dazu musste tief in die Tasche gelangt werden. Ab 1978 war ein vierjähriges Investitionsprogramm in Höhe von 150 Millionen Franken vorgesehen. Die Gründerfamilie Oswald konnte den Kraftakt nicht selber finanzieren. Im Geschäftsjahr 1981/82 musste bei den Banken ein ausserordentlicher Überbrückungskredit aufgenommen werden, und die Eigenkapitalbasis der Chemie Holding sackte von 58,4 auf 46,1 Prozent ab, jene des Stammhauses in Ems erreichte sogar den Tiefstwert von nur mehr 15 Prozent. Mit der Folge, dass sich die Auszahlung einer Dividende nicht mehr rechtfertigen liess.

Der Dividendenausfall bedeutete für die Familie Oswald mit einem Aktienkapitalanteil von 20 Millionen Franken (von 70 Mio) ziemlich genau einen Einkommensverlust von einer Million gegenüber dem Vorjahr. Mit der Aussicht, den Gürtel aus Geldmangel eng zu schnallen, konnten sich einige Familienmitglieder nicht anfreunden. Ihre Ansicht, der Konzern (rund 300 Mio Fr. Umsatz und 2000 Mitarbeiter) sei zu veräussern, setzte sich in der Familie durch.
Christoph und Werner Oswald, die Söhne des verstorbenen Firmengründers, hielten im In- und Ausland Ausschau nach Interessenten, vorerst ohne durchschlagenden Erfolg. So schickten sie denn Christoph Blocher auf die Piste.

Dieser sah, dass die Eigentümerfamilie in Geldnot steckte. Und er wusste, dass er im Konzern nunmehr der einzige war, dem man Werner Oswalds «Erbe» anvertrauen konnte. Es erstaunt deshalb nicht, dass Blocher - immer vorausgesetzt, er wollte das Unternehmen selber einstecken - auch keinen genehmen Käufer fand.
Dass da gleichsam der Kaufinteressent zum Verkaufsagenten, der Bock zum Gärtner gemacht wurde, war indessen nur eine von mehreren Merkwürdigkeiten beim Besitzerwechsel der Emser Gruppe. Ebenfalls seltsam mutet an, dass Blochers Entscheid, den Konzern eigentumsmässig zu übernehmen, nicht allen Aktienpaketinhabern offenbart wurde. Mehrere (Gross-)Aktionäre wussten überhaupt nicht, an wen ihre Papiere gingen. Dass Christoph Blocher nicht nur der Mittelsmann beim Verkauf, sondern selber der Käufer war, erfuhren sie erst Wochen nach der Vertragsunterzeichnung, die am 27. Mai 1983 stattfand. Unmöglich? Doch, möglich!
Vorausgeschickt sei dass bei der Transaktion die Aktien der sogenannten Oswald Holding die Hand wechselten. Denn diese kontrollierte die Ems Chemie Holding, und zwar 58 Prozent der Stimmen und 28 Prozent des Kapitals. Das Dach über dem Dach, die Oswald Holding, gehörte zum überwiegenden Teil den Hinterbliebenen des Firmengründers, also der Witwe Eleonore Oswald, den Söhnen Christoph, Werner und Hermann sowie den Töchtern Anne-Marie und Marianne. Der Rest wurde von Aussenstehenden gehalten. Der springende Punkt dabei: Weder die übrigen Aktionäre noch die übrigen Familienmitglieder verhandelten einzeln mit Blocher. Der bestand darauf, das Geschäft mit einer Vertretung über die Bühne zu bringen. Dies besorgten Christoph und Werner Oswald, die sich die Unterschriften der restlichen Aktionäre verschafften. Charlotte Peter, eine der familienfremden Aktionäre, Tochter einer ehemaligen führenden Figur in der Emser Gruppe, erinnert sich: «Meine Schwester und ich trafen uns mit den Oswald-Brüdern im Pub des Hotels «Elite» an der Zürcher Bahnhofstrasse. Sie malten die wirtschaftliche Lage der Emser Gruppe in düsteren Farben. Die Aktien seien deshalb nicht mehr viel wert. Immerhin sei es möglich, jetzt noch etwas Geld zu bekommen. Wenn wir aber nicht verkauften, würden wir bald überhaupt nichts mehr dafür kassieren können. Dabei beteuerten sie, selber den Käufer nicht zu kennen. Dieser beharre darauf, vorläufig geheim zu bleiben. Christoph Oswald, der unterdessen sagt, gewusst zu haben, dass Blocher die Aktien ersteht, hat für die Version, die er den Geschwistern Peter auftischte, heute «keine Erklärung».
Doch Blocher blieb, als Käufer, nicht nur für Charlotte Peter und ihre Schwester im Dunkeln. Mutter Eleonore Oswald offenbart heute ebenfalls, dass sie nicht auf dem Laufenden darüber war, wer schliesslich das Aktienpaket an sich zog. Und auch Marianne Zollinger-Oswald räumt ein, von der wahren Identität des Käufers nichts erfahren zu haben.
Somit waren just jene Personen nicht informiert, die einem Verkauf an Christoph Blocher, oder einem Verkauf ganz allgemein, abgeneigt waren. Charlotte Peter mochte Blocher nie: «Ich hätte alles darangesetzt, nicht an ihn zu verkaufen.» Auf Antipathie stiess Blocher auch bei Marianne; deren Ehemann er und seine Getreuen übrigens aus der Emser Gruppe rausgeekelt hatten. Keine Abneigung gegen die Person Blochers verspürte Mutter Eleonore; eigentlich wollte sie aber überhaupt nicht Verkaufen, weder an ihn noch an sonstwen: «Ich hätte sogar Arbeit angenommen», verriet sie der «Weltwoche». Ihren Söhnen zuliebe willigte sie ein das Unternehmen abzustossen, denn die wollten Cash.
Und Christoph Blocher trachtete nach dem Unternehmen, spätestens im Frühjahr 1983. Wäre aber nur ein einziger Aktionär ausgeschert, hätte sich die von ihm angepeilte 58-prozentige Stimmenmehrheit bedenklich reduziert. Wären gar zwei oder mehr Anteilseigner auf Konfrontationskurs gegangen, hätte er nicht einmal die 50-Prozent-Marke erreichen können.
Kommt dazu, dass aus Käufersicht plötzlich Eile geboten war. Denn je mehr Monate des Jahres 1983 ins Land gingen, um so positiver wirkten sich in der Emser Gruppe die zuvor eingeleiteten Umstrukturierungen und, Rationalisierungen aus. Zudem begann die Konjunktur wieder anzuziehen. Also hätten sich Oswalds bald einmal anders besinnen können.
So gesehen verkaufte die Eigentümerfamilie zum schlechtesten Zeitpunkt, kaufte umgekehrt Christoph Blocher zum bestmöglichen Termin: am Ende einer Schlechtwetterperiode, vor einem neuen Hoch. Blocher konnte also sehr zufrieden sein, den Erwerb der Oswald-Holding-Aktien am 27. Mai 1983 verbrieft zu haben - mit einer Klausel im Vertrag, die ihm das Recht zugestand, den Handel gegenüber Dritten bis spätestens Ende Mai 1985 zu verheimlichen. «Vor der Veröffentlichung wollte ich die neue Unternehmensstrategie ausarbeiten», begründete Blocher die sonderbare Klausel. Ein fragwürdiges Argument, hatte er doch die grossen strategischen Weichen längst umgestellt.

Christoph Blocher wusste, dass sich der Konzern schon auf dem Weg zur Besserung befand. Im Jahr zuvor hatte er Entlassungen verfügt, sich; geweigert, die Teuerung voll auszugleichen, und für einen Dividendenausfall plädiert. Im Dezember 1982 stellte er fest: «Bereits nach wenigen Monaten haben die frühzeitig ergriffenen Sondermassnahmen zur Verbesserung der Ertragssituation Wirkung gezeigt», und er prophezeite: «Vollumfänglich wird sich das aufs Geschäftsjahr 1983/84 (April 83 bis März 84) auswirken.» Blochers Voraussage bewahrheitete sich genau.

Im Herbst 1983 frohlockte ein Pressecommunique: «In den ersten fünf Monaten des laufenden Geschäftsjahres sanken die Gemeinkosten um 5 Prozent, die Produktivität wuchs gleichzeitig um rund 15 Prozent, und die Erträge in den beiden Hauptsparten Kunststoffe und Synthesefasern steigen kräftig an.»

Um so erstaunlicher, dass der Kaufpreis für die Oswald Holding bloss 15 oder 16 Millionen Franken betrug, Geld, das in der ersten Junihälfte 1983 an die ehemaligen Aktionäre ausbezahlt wurde. Die «Weltwoche» liess Finanzanalysten errechnen, welcher Wert hinter der Holding im Frühjahr 1983 steckte. Die Swiss Investment Research, die sich auf Geschäftsberichte, Börsendaten und Bankenschätzungen stützte, gewichtete den Substanzwert, den Ertragswert und das Kurspotential zu je einem Drittel. Fazit: Der eigentliche Wert von Blochers Aktienpaket belief sich schon zum Zeitpunkt des Kaufs auf 80 Millionen Franken.

Gewiss, derlei Berechnungen, sind mit einiger Unsicherheit behaftet. Doch selbst wenn der Wert von Blochers Aktienpaket nur halb so hoch, also 40 Millionen, gewesen wäre, müsste der Kaufpreis von 15 bis 16 Millionen als sehr günstig bezeichnet werden.

Fragen drängen sich deshalb auf: Krochen die beiden Oswald-Brüder Christoph Blocher auf den Leim? Nützte dieser nicht nur den Finanzengpass der Oswalds, sondern auch seine intimen Kenntnisse über den Seelenhaushalt der einzelnen Familienmitglieder aus? Rächte es sich nun, dass sie Blocher bei der Ausschaltung seiner Rivalen gewähren liessen? Oder spielten die Banken die entscheidende Rolle, hielten sie das Mehrheitspaket Blocher zu, eben weil er nun, 1983, weitherum der einzige war, der den Konzern in eine sichere, ertragreiche Zukunft führen konnte?

«Der Preis war angemessen», versichert Christoph Oswald, «ich würde die Aktien nicht einmal heute zum damaligen Betrag zurücknehmen.» Letzteres Urteil löst bei Unternehmern und Finanzanalysten im milderen Fall ein ungläubiges Kopfschütteln aus.
Denn mittlerweile ist der «potentielle» Wert der Blocherschen Beteiligung an der Ems-Chemie Holding auf weit über 100 Millionen Franken geklettert, auf 180 Millionen gemäss den Berechnungen der Swiss Investment Research. Der Clou dabei: Blocher war 1983, als er die Gruppe kaufte, zwar nicht gerade mittellos, verfügte aber damals über wenig eigenes flüssiges Geld. Er versteuerte damals ein Reinvermögen von «bloss» 764000 Franken, dessen Grossteil wohl seine festungsähnliche Villa in Meilen ausmachte; deshalb war er beim Kauf der Emser Gruppe auf die Generosität der Banken und persönlicher Freunde angewiesen. Heute hingegen beläuft sich sein Reinvermögen laut Steuererklärung auf 85 Millionen. Den Zuwachs verdankt Blocher zum grössten Teil dem Kapitalgewinn aus seiner Emser Beteiligung - Kapitalgewinn ist im Kanton Zürich notabene steuerfrei.

Stellungnahme von Blocher

« Artikel voller Unwahrheiten »

Die «Weltwoche» hat mir obenstehenden Artikel vorgelegt und mir 24 Stunden Zeit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Artikel ist voller Unwahrheiten. Nur einige Sachverhalte sind richtig. Sie seien hier festgehalten.

Richtig ist soviel, dass ich aus bescheidenen Verhältnissen stamme, mich nach der Schule zuerst als Landwirt ausbildete und mir erst hernach als Werkstudent Mittelschule und Hochschulstudium erarbeitete. Richtig ist auch, dass Werner Oswald sen. mir die Möglichkeit eröffnete, in den damaligen Emser Werken meine erste Stelle als junger Jurist anzutreten. Es trifft zu, dass mir im Laufe der Jahre immer mehr Verantwortung bis zur Unternehmensleitung übertragen wurde. Dieser Herausforderung habe ich mich stets mit Freude gestellt. Wie im Artikel ausgeführt, geriet jedoch EMS in den siebziger Jahren in eine ernsthafte Krise. Dank grösster Anstrengungen aller Mitarbeiter gelang es aber, diese Krise zu meistern, so dass heute die EMS-Gruppe, der grösste private Arbeitgeber im Kanton Graubünden, wieder gesund und innovationsfähig dasteht. Meine Beteiligung am Konzern erwarb ich tatsächlich im Jahre 1983. Ungewöhnlich ist daran vielleicht, dass ich in dieser Situation, als die Mehrheitsaktionäre EMS, wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten veräussern wollten, das grosse Risiko einging, auch eigentumsmässig die volle Verantwortung zu übernehmen. Ich tat dies, um die Weiterführung von EMS zu sichern und um den Mitarbeitern in der damaligen unruhigen Situation Sicherheit zu bieten. Dies war nur mit Hilfe von Banken möglich, die mir Vertrauen schenkten und diesen Weg für EMS als die beste Lösung betrachteten. Das Wagnis ist, vorläufig geglückt, wie ich heute feststellen darf. Dass sich dies nach «fetten» Jahren im Aktienwert niederschlägt, ist selbstverständlich. Nur muss man wissen, dass solche «Polster» in «mageren» Jahren, die mit Sicherheit auch wieder ins Land gehen, schnell genug dahinschwinden.

Das sind die Fakten. Darum äussere ich mich nicht weiter zu diesem Artikel.
Nationalrat Dr. Christoph Blocher


Zeitungsartikel aus der Weltwoche vom 1. Oktober 1987 | Silvio Bertolami